Frankfurt, 12.12.09: Kontaktaufnahme mit den Ahnen

Am Dienstag, dem 8. Dezember 2009, habe ich ziemlich buchstäblich Kontakt mit meinen Vorfahren aufgenommen. Hierzu war es gar nicht nötig, in Afrika, der unbestrittenen Wiege der Menschheit, auf Safari zu gehen – das Wort „Safari“ kommt aus dem Kisuaheli und bezeichnet eine meist längere Reise. Ich musste lediglich eine kurze Strecke mit der Bahn fahren, vom Südbahnhof zur Bockenheimer Warte im Frankfurter Westen, und schon nach 25 Minuten war ich bei den Vorfahren der Spezies Mensch am Senckenberg Naturmuseum angekommen.
Die aufwendig gestaltete „Safari zum Urmenschen“, eine Entdeckungsreise auf 1000 Quadratmetern in der Wolfgang-Steubing-Halle, zeigt Jahrmillionen alte Fossilien, viele davon direkt aus Afrika, mitsamt ihrer persönlichen Geschichte: wo sie lebten, was sie aßen und woran sie wahrscheinlich gestorben waren. Ich fand den Nachbau einer Ausgrabungsstätte, mit Hilfe von Videotechnik inszeniert. Dann führte mich die Reise durch alle Stufen der frühmenschlichen Entwicklung, vom aufrechten Gang über die Herstellung von Werkzeugen bis hin zur Entwicklung des Gehirns, der Nutzung des Feuers, der geographischen Verbreitung des Menschen und der Entwicklung von Sprache und Kultur. Da aber alles auf Deutsch beschriftet ist, brauchte ich einen englischen Audio-Guide. Mir fiel auf, dass die „Safari zum Urmenschen“ sich an Schüler richtet. Nach Aussage von Doris von Eiff, der Pressereferentin des Senckenberg Museums, richtet sich die Ausstellung aber auch an Familien und jeden, der sich für Natur und Naturwissenschaften interessiert.
Ganz unabhängig vom Zielpublikum ist die Ausstellung etwas Besonderes, vor allem darin, wie der Überblick über die Evolution und deren wichtige Meilensteine konzipiert ist. „Ein ganz besonderes Merkmal sind meiner Ansicht nach die authentischen Beiträge der Senckenberg-Forscher, die in Malawi, aber auch im Osten Afrikas internationale Ausgrabungsprojekte leiten (oder daran beteiligt sind)”, so die Pressereferentin. Bemerkenswert ist auch die forensische Rekonstruktion der Schädel, an denen die Unterschiede zwischen alten und jungen sowie männlichen und weiblichen Funden eindeutig zu erkennen sind.
Ich fühlte mich wie zu Hause, ließ mich sogar mit dem homo ergaster fotografieren, auch bekannt als der „Turkana-Junge“, der 1984 westlich des Turkana-Sees gefunden wurde. Ganz fasziniert war ich vom Nachbau einer Feuerstelle aus einer Zeit lange vor aller Zivilisation, der so aussieht, als wäre er direkt aus der ländlichen Küche meiner Mutter in Kenia entnommen worden. Afrika hat einige „Technologien“ unserer Ahnen übernommen, die in prähistorischer Zeit rund um den Turkana-See lebten. Bei den Speeren ist es genauso: sie sind bis heute beim Volk der Turkana zu finden, wo man aber ebenso im Besitz von Maschinenpistolen und Kalaschnikows ist, natürlich illegal.
Während ich mir die sorgfältig ausgestellten Exponate anschaute, dachte ich an meine Landsleute Louis, Mary und Richard Leakey, die unermüdliche Arbeit geleistet haben, um das ans Licht zu bringen, was tief im Turkana-Becken und in anderen Teilen Afrikas vergraben lag. Mit ihren Hominidenfunden in Afrika haben die angesehene Archäologen der Familie Leakey der Archäologie und auch der Evolutionswissenschaft durchaus Sternstunden bereitet.
Dann dachte ich an Frederick Manthi, einen Forscher der Nationalen Museen von Kenia, der 2007 einen 10 Mio. Jahre alten Kieferknochen eines menschenähnlichen Wesens fand und damit unter Paläontologen eine Debatte darüber auslöste, ob sich der homo habilis in den homo erectus weiterentwickelt habe – der sich dann in uns weiterentwickelte – oder ob beide im gleichen Zeitalter lebten. Soweit ich weiß, ist das Rätsel noch nicht gelöst. Allzu gerne hätte ich die Projektleiter der Ausstellung hierzu befragt, um zu erfahren, ob die Wissenschaftler des Forschungsinstituts Senckenberg, die die Ursprünge der Menschheit erforschen, neue Erkenntnisse gewonnen haben, aber leider traf ich sie nicht an.
Während ich diesen Gedanken nachging, betraten zwei junge Frauen die Halle und unterhielten sich angeregt auf Kisuaheli. Ich erfuhr, dass Ruth Nyambura und Silvia Nasieko, beide aus Kenia, an der Universität von Frankfurt studieren. Auch sie wollten eine Zeitreise in unsere Vergangenheit antreten. „Tulijua wewe ni mkenya tulipokuona tu (In dem Augenblick, in dem wir Sie sahen, wussten wir, dass Sie aus Kenia kommen)”, sagte Nyambura mir, als ich mich vorstellte. Ich fragte mich, ob sie zwischen mir und dem Fossil des Turkana-Jungen eine Ähnlichkeit festgestellt hatten, oder ob sie das besondere Talent haben, einen Bruder aus Kenia schon aus einer Meile Entfernung zu erkennen.
So werde ich diese Ausstellung als Ort in Erinnerung behalten, an dem ich „meine“ – toten wie lebendigen – „Landsleute“ getroffen habe.
veröffentlicht am 12. Dezember 2009 in der Frankfurter Rundschau.