Frankfurt, 2.12.09: Der coolste Diplomat von allen

Einen guten Diplomaten, so wurde einmal gesagt, zeichnet die Fähigkeit aus, jemandem so nahezulegen, er solle sich zum Teufel scheren, dass dieser sich geradezu auf den Weg freue. Von Walter Lindner, bis vor kurzem deutscher Botschafter in Kenia, kann man das so nicht sagen, doch seine Worte klingen vielen Kenianern wie Musik in den Ohren - im wahrsten Sinne des Wortes.
Der Diplomat mit dem Pferdeschwanz, der so anders war als alles, was man im Land bis dato kannte, hat in Kenia unauslöschliche Spuren hinterlassen. „Ich bin als Freund Kenias hier“, sagte er stets. Er erwies sich als guter Freund, etwa als Berater der unerfahrenen Koalitionsregierung, die im vergangenen Jahr gebildet wurde, nachdem das Wahldebakel vom Dezember 2007 heftige Unruhen im Land ausgelöst hatte.
An der kenianischen Koalitionsregierung sah er Licht- und Schattenseiten, die er offen benannte. „Man muss verstehen, dass eine große Koalition keine Liebesheirat ist. Es kann nicht darum gehen, dass sich eine Partei um der Koalitionsharmonie willen von ihren Grundsätzen verabschiedet. Es geht darum, für die grundlegenden Probleme und Nöte der Menschen in Kenia praktische Lösungen zu finden. Selbst Kompromissgeist sollte man von einer Koalition nicht erwarten, da sie nicht auf Dauer ausgelegt ist. Entscheidend ist, was am Ende herauskommt, und wir erkennen, dass sich einiges tut”, erklärte er in einem Presseinterview. „Man muss sich im Klaren sein, dass es nie ganz reibungslos laufen kann”, fügte er hinzu. „Schließlich hängen die Kontrahenten ihren politischen Wettbewerb mit der Koalition nicht an den Nagel. Das Geheimnis liegt darin, bei der Lösung schwieriger Fragen Mittel und Wege zu finden, die die Koalition nicht aufs Spiel setzen.”
Ob sein Rat befolgt wurde oder nicht, steht auf einem anderen Blatt, doch der Botschafter, der in seinem Diplomatengepäck unter anderem Tonaufnahmegeräte mit sich führt, hat durch die Musik einen Beitrag zum Frieden geleistet. Als Künstler par excellence veranstaltete Lindner in der Botschafterresidenz in Muthaiga am nördlichen Stadtrand Nairobis ein Friedenskonzert, nachdem er und andere Diplomaten aus der EU und den USA sich besorgt über die Sicherheit und die damalige politische Lage in Kenia geäußert hatten. Unter dem Motto „Frieden für Kenia“ traten bei dem Konzert mehr als 20 Künstler auf, darunter die Gruppe Mystique Fusion, die der Botschafter gemeinsam mit kenianischen Musikern gegründet hatte.
Man hat Lindner einmal als den „abgefahrensten“ Botschafter auf kenianischem Boden bezeichnet. Aus gutem Grund – mit seinem Markenzeichen, dem Pferdeschwanz, gleicht er eher einem Rockstar als einem Diplomaten. Doch in Kenia genießt er enormes Ansehen. Er gründete das Kikwetu-Festival, ein Afro-Fusion-Musikfestival, bei dem die besten Popmusiker Kenias auftreten. Mit seinem Flügel und anderen Instrumenten aus seinem Studio gab er der Veranstaltung eine besondere Note.
Lindner, 1956 in München geboren, studierte am Richard-Strauss-Konservatorium, an der Joe Haider Jazzschool in München und später an der Berklee Jazz School in Boston (USA) Musik. Dann sattelte er auf Rechtswissenschaften an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität um – „um Geld zu verdienen und die Welt zu verändern“. In seinen ersten Eigenkompositionen finden sich populäre Stilelemente mit Einflüssen aus Soul, Jazz und Salsa.
Als er 1988 in den diplomatischen Dienst eintrat, war er zunächst beim Auswärtigen Amt in Bonn tätig, ging dann nach Nicaragua and später nach New York. Dort begann er auch mit dem Aufbau seines mobilen Studios „Tucan“, benannt nach den großen, bunten Vögeln aus Südamerika und der Karibik. Als er mitsamt Studio und Musikequipment in Nairobi ankam, ging er auf die Suche nach Gleichgesinnten. Schon bald stieß er auf Künstler, die einen Mentor suchten und in ihm den richtigen Mann fanden.
„Als ich nach Kenia kam, wollte ich die Musik und die verschiedenen Stilrichtungen kennenlernen… also hab ich mir einiges gekauft, einiges ausgeliehen und über 200 CDs angehört“, erklärte er in einem Interview mit der Daily Nation. „Mein Studio habe ich auf allen Reisen dabei“, sagte er. „Aber nicht aus geschäftlicher Motivation“. Seine Aufnahmen laufen auch heute noch im Radio und in den Clubs von Nairobi. In Kenia erinnert man sich wehmütig an den Mann, der heute das Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amts in Berlin leitet.
„Wenn wir einen Diplomaten wirklich vermissen werden, dann ist es Walter Lindner”, sagt der kenianische Feuilletonist Tim Kamuzu Banda. „Wenn er sich nicht in Diplomatenkreisen bewegte, war er unter Musikern oder setzte sich für die Kunst ein.” In der Kulturszene Kenias wird heute die Frage diskutiert, ob die Regierung, der Lindner die Leitung des Kikwetu-Festivals übertragen hat, seinen Spuren folgen wird. Die Antwort bleibt abzuwarten.
veröffentlicht am 2. Dezember 2009 in der Frankfurter Rundschau.