Riga

Riga, 14.2.2013: Deutsche Studenten in der lettischen Hauptstadt

 © Nik Afanasjew
Julia und Lukas sind zwei der insgesamt 465 deutschen Studenten an der Stradiņš Universität in Riga (Foto: Nik Afanasjew)

Keine Wartesemester, englischsprachige Kurse und Nähe zum Meer - die Stradiņš-Universität in Riga ist attraktiv für deutsche Studenten. Seit dem EU-Beitritt Lettlands 2004 kommen immer mehr junge Menschen zum Studieren.

Es gibt schon gewisse Unterschiede zwischen einem Studium in Lettland und in Deutschland. Denn eine Garderobe mit Garderobenfrauen – wie im Theater – findet man an deutschen Hochschulen nicht. Auch wenn diese Garderobenfrauen an diesem Februartag im Hauptgebäude der Stradiņš-Universität zwischen Daunenjacken, Marken und Mänteln für Chaos sorgen. Nicht so schlimm findet das Lukas Herrmann. „Normalerweise läuft das hier gut.“ Ein Urteil, dass der deutsche Student für sein ganzes Studium in Lettland gelten lässt. Ebenso Julia Fritz, die seit einem Jahr in Riga Medizin studiert. „Es ist hier etwas verschulter als bei uns, dafür sind die Menschen flexibel und freundlich.“

Julia und Lukas sind zwei von 465 Deutschen, die an der Stradins-Universität studieren. Damit machen sie etwa die Hälfte alle internationalen Studenten aus; die meisten von ihnen belegen Fächer wie Medizin, Zahnmedizin oder Pharmazie. „Vor drei Jahren waren es etwa 200 Deutsche“, erklärt Dekanin Smuidra Zermanos. „Der starke Anstieg begann mit dem EU-Beitritt 2004. Heute haben wir einen Anteil von 13 Prozent internationaler Studenten. Wir wollen es bis 2017 auf 20 Prozent schaffen.“

„Wir brauchen hier junge Leute“

Ein Grund für Deutsche, zum Studium ins Ausland zu gehen, ist das deutsche System der Wartesemester. Sind die Noten in der Schule nicht allesamt exzellent, können sie in ihrer Heimat nur auf die wenigen verlosten Studienplätze hoffen oder viele Jahre auf den Beginn des Studiums warten. In Lettland sieht die Lage anders aus. „Wir brauchen junge Leute“, erklärt Zermanos. „Die Bevölkerung schrumpft, viele junge Letten gehen ins Ausland, und die Unis hier haben Kapazitäten.“ Die Stradiņš-Universität bezeichnet Zermanos als führende Hochschule für ausländische Studierende im Baltikum, weil diese seit 1990 englischsprachige Kurse anbiete. Die Wirtschaftskrise der letzten Jahre, die auch für öffentliche Universitäten mit einigen Budgetkürzungen verbunden war, sei weitgehend überwunden.

„Die meisten Studenten kommen für die ersten vier Semester hierher und versuchen danach, für den klinischen Teil an eine deutsche Hochschule zu wechseln“, erklärt die Dekanin. Das gilt auch für Julia und Lukas. „Falls der Wechsel allerdings nicht klappt, kann ich mir auch vorstellen zu bleiben“, sagt Lukas und lehnt sich in einen Stuhl in der Mensa zurück. Julia nickt zustimmend. In der Mensa wirkt alles übersichtlich und familiär. Sogar hausgemachte Buletten stehen an diesem Tag auf dem Speiseplan. Die Gäste bekommen in Riga etwas geboten, nicht nur fachlich – dafür ist das Studium für deutsche Studenten hier auch nicht billig. 16.000 Euro kosten die ersten beiden Jahre, wer bis zum Abschluss in Riga bleibt, zahlt 50.000 Euro. Dagegen ist das Studium in Deutschland fast umsonst.

Julias Eltern sind Ärzte, sie finanzieren ihr das Studium. „Ich hätte sonst zu lange warten müssen. Aber die Gebühren sind auch eine Motivation, es in der Regelzeit zu schaffen“, sagt sie. Die 19-Jährige kommt aus der kleinen Gemeinde Halberstadt, wo sie nach dem Abitur ein Praktikum in einem Krankenhaus absolvierte, bevor sie nach Riga ging. „Einige Freunde wundern sich und fragen: Wir kannst du das machen? Aber viele finden den Weg ins Ausland auch mutig.“ Sie findet es gut, dass das Studium auf Englisch läuft. „Das ist für uns und für die Professoren gleichermaßen eine Fremdsprache. Das ist fair.“ Aber sie lernt auch Lettisch, obwohl es nicht ganz einfach sei. „Wenn ich jemandem einen Satz auf Lettisch sage, und dann sofort ein ganzer Redeschwall zurückkommt, verstehe ich oft nichts.“

Lernen, Partys und Strandausflüge

Auch Lukas paukt Lettisch. „Meine Spielwiese zum Ausprobieren ist der Zentralmarkt. Falls die Worte zu speziell werden, helfe ich mir bei der Fleischverkäuferin meines Vertrauens eben mit Tiergeräuschen.“ So leicht könne ihn ein fremdes Land nicht aus der Ruhe bringen, sagt Lukas. Der 23-Jährige aus Köln hat seit seinem Abitur bereits ein Jahr Work-and-Travel in Südamerika, ein Semester Wirtschaftsstudium in Berlin und eine Ausbildung zum Rettungssanitäter hinter sich gebracht. Deshalb kann er einen Teil der Studiengebühren auch selbst bezahlen. Mit dem Rest hilft die Familie. Seine Zeit an der Stradiņš-Universität nutzt Lukas nicht nur zum Lernen; zusammen mit anderen Studenten hat er nach deutschem Vorbild einen Fachschaftsrat gegründet, der Filmabende, Partys und Kulturevents veranstaltet. „All das soll dem Austausch zwischen den Studenten unterschiedlicher Nationalitäten dienen“, sagt Lukas.

Wie auch Julia wohnt er in einem Wohnheim nicht weit von der Universität entfernt. Abends sind beide gern in der Altstadt unterwegs. Im Sommer geht Lukas oft an den Hafen oder an den See im Stadtteil Mezaparks, der früher den schönen Titel „Kaiserwald“ trug. Auch für Julia spielt das Wasser eine wichtige Rolle: Sobald das Wetter besser wird, fährt sie öfter nach Jurmala, einen Badeort am Rigaischen Meerbusen der Ostsee. Was Land und Leute betrifft, teilen beide dieselbe Meinung: „Wir wurden hier positiv aufgenommen. Bei den Letten dauert es zwar etwas länger als bei Deutschen, bis sie auftauen, aber wenn man mit ihnen warm wird, läuft es.“ Bei so viel Zustimmung könnten die beiden theoretisch irgendwann zu einer Gruppe gehören, die es bislang noch nicht zu geben scheint: junge Menschen aus Deutschland, die in Riga ihr Medizin-Studium absolvieren – und dann vielleicht sogar bleiben.
Von Nik Afanasjew
Veröffentlicht am 19. März 2013 in der lettischen Tageszeitung „Diena“ und am 21. März 2013 im Berliner „Tagesspiegel“
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