Ljubljana, 18.3.2013: Das „Musterländle“ hängt fest

Prächtige Barockbauten: Die Drei Brücken und im Hintergrund die Franziskaner-Kirche (Foto: Kathrin Keller-Guglielmi)
Slowenien steckt in der Rezession, Staatsschulden und Arbeitslosigkeit steigen. Nach zahlreichen Massen-Demonstrationen ist die Mitte-Rechts-Regierung gestürzt und durch eine Mitte-Links-Regierung abgelöst worden. Doch die Hoffnungen auf Veränderung sind gering.
Man kann sich Ljubljana wie so eine Art Märklin-Hauptstadt vorstellen. Es ist alles da, aber in klein. Der Bahnhof, der Flughafen, das Parlament, alles en miniature. Egal, wohin man will, fünf Minuten später ist man da – zu Fuß. Gut 20 Jahre gibt es dieses Zwei-Millionen-Bürger-Ländchen jetzt, und die Zeit der großen Euphorie ist vorbei. Erst klappte alles wie am Schnürchen: Loslösung von Jugoslawien, Staatsgründung, wirtschaftlicher Boom, EU-Beitritt, Euro. Der Zwerg an der Grenze zwischen Balkan und Mitteleuropa schien alles zu können. Und jetzt ist auf einmal die Krise da, seit zwei Jahren schon, und noch immer ist kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Seilschaften und Revolten
Im Miniatur-Parlament herrscht an diesem Mittwoch im März großer Betrieb. Habemus Regierung – die neue Ministerpräsidentin hat es geschafft, eine Koalition zusammenzubauen, heute wird die neue Ministerriege vereidigt. Es ist jetzt eine Mitte-Links-Regierung, vorher war es Mitte-Rechts. Die Dame von der Presse-Abteilung zuckt die Schultern. Die Frau kennt die Welt und die Geschichte ihrer Heimat von den Römern bis heute, aber für das politische Tagesgeschäft interessiert sie sich kaum. „Ich lese die Zeitung nur quer“, sagt sie. Sie glaubt nicht, dass sich jetzt viel ändern wird, niemand glaubt das. Warum sollte die Politik Reformen durchsetzen, die Besitzstände ankratzen? In einem Land, in dem jeder jeden kennt, will niemand niemandem etwas wegnehmen.Unterdessen hat aber die Wirtschaftskrise die innere Fäulnis der Vetternwirtschaft offenbart. Bei der Privatisierung schauten die Banken nicht so genau hin, sondern gaben politischem Druck nach – häufig spielten die alten Seilschaften aus sozialistischen Zeiten eine Rolle. Man kennt sich in Slowenien. Dann wurde Geld aus den Betrieben herausgezogen, die Zinslast drückte, Investitionen blieben auf der Strecke – und zahlreiche Firmen mussten dicht machen. „Und dafür hab‘ ich mein Leben lang gearbeitet“, sagt ein älterer Herr bitter-ironisch. Jetzt geht er mit auf die Straße, wenn das Demonstrationskomitee trommelt, die Generation 50+ ist immer gut vertreten. Ehepaare, Grüppchen und Einzelne marschieren hinter den Autonomen her, die die Musik anschmeißen und eine „revolutionäre Veränderung“ wollen.
So sehr die jungen Leute damit im Nebulösen bleiben, so sehr finden sie doch auch Verständnis. „Die Revolte ist nötig“, sagt die Frau von der Regierungspressestelle und selbst eine pragmatische Wirtschaftsexpertin wie Gertrud Rantzen, die Leiterin der deutsch-slowenischen Handelskammer, findet, dass „eine Diskussion fällig“ sei. Rantzen sieht Slowenien, das so zielstrebig auf die EU und den Euro zugesteuert ist, in einer gesellschaftlichen Krise, sozusagen auf der Suche nach sich selbst.
Ein Land, zu klein für diese Welt?
„Es fehlt eine Art Masterplan“, sagt sie und meint damit keineswegs den Import der Schröderschen Agenda. Sicher, aus Sicht der Wirtschaft sind Lockerungen im Arbeitsrecht und die Streichung manch liebgewordener Sonderzahlung notwendig. Doch Rantzen glaubt nicht an Allheilmittel. „Jedes Land muss mit seinen Traditionen sein eigenen Weg finden“, sagt sie. Slowenien, so findet sie, hat viele Pluspunkte. Eine gute Infrastruktur, gut ausgebildete Fachkräfte, Zuverlässigkeit. Aber das Land ist klein, so klein, dass es schwer sein wird, den Klientelismus einzudämmen, fürchtet Rantzen. Den einen kennt man, weil er in der Nachbarschaft wohnt, mit dem nächsten ist man zur Schule gegangen, den dritten trifft man beim Sport.Ein Land, zu klein für diese Welt. Das finden in Slowenien auch Menschen, die aus einer ganz anderen Richtung kommen. Beispielsweise Rastko Mocnik, der 68-jährige Soziologie-Professor mit dem weißen Bart, ein Jugoslawien-Nostalgiker, der einer der profiliertesten Kapitalismus-Kritiker in Slowenien ist. Seit 1991 wird er nicht müde, den Zerfall Jugoslawiens als Fehler zu bezeichnen. Noch heute redet er gerne von den menschlichen Züge des Sozialismus in Jugoslawien und von jenem Radiosender in den 70ern, der auch in Jugoslawien die Stones spielte.
Inzwischen aber ist eine ganze Generation aufgewachsen auf diesen 20.000 Quadratkilometern zwischen Ljubljana, Maribor und Nova Gorica. Sozialismus ist für sie Geschichte, Kapitalismus etwas, was nirgends richtig funktioniert, und Slowenien etwas, was nach 50 Kilometern aufhört. Sie sprechen fließend Englisch und schwärmen von Berlin. Das hübsche Ljubljana mit seinem prächtigen Barock engt sie ein, aber sie haben sich kleine Inseln der Grenzenlosigkeit geschaffen. Metelkova ist so eine Insel, das Künstlerkollektiv, das selbstverwaltete Alternativzentrum mit zahlreichen Galerien, fast täglich Konzerten, Werkstätten und sieben Clubs. Metelkova ist eine Art gesellschaftlicher Gegenentwurf, mit Freiräumen für alle, ein Stück Urbanität mit ein bisschen internationalem Flair, auch ein bisschen Sozialismus, aber bitte ohne 70er-Jahre-Mief. Das Zentrum ist vor 20 Jahren entstanden, als frei gewordene Militärkasernen von einer Gruppe von Künstlern besetzt wurden. Inzwischen ist Metelkova für viele zwar in erster Linie Freitagnacht-Party. Trotzdem ist es hier anders als anderswo. Der Raum entzieht sich weitgehend der staatlichen Kontrolle, niemand zahlt Miete, niemand zahlt Steuern, niemand hält sich an das Rauchverbot. Bloß keine Enge hier …
Von Kathrin Keller-Guglielmi
Veröffentlicht am 4. April 2013 in der „Rheinpfalz“
Veröffentlicht am 4. April 2013 in der „Rheinpfalz“