Berlin/Düsseldorf, 20.11.2012: Das Duell der Schönen
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Auch skurille Vertreter präsentieren sich auf der Bread & Butter in Berlin (Copyright: Bread & Butter)
Die Berliner wollen ihn haben, die Düsseldorfer wollen ihn nicht loslassen: den Titel für Deutschlands Modehauptstadt. Der Streit um die Frage, wer die Schönste im ganzen Land sei, spaltet die Modeszene.
Es ist das Ego. Es ist, als wäre man die Schöne in der Klasse, und dann kommt eine andere Schönheit, die wie eine frische Brise die ganze Klassengemeinschaft aufwühlt. Die Jungs verlieben sich in sie, die alte Schöne wird nicht mehr bemerkt. Wäre Berlin ein Mädchen, es hätte lange blonde Haare, offen getragen, und wäre ein wenig ausgeflippt. Düsseldorf wäre die elegante Schönheit im Business-Look. Das Duell der beiden ist die ewige Frage: Wer ist die Schönste im ganzen Land? Wo liegt Deutschlands Modehauptstadt? Ich habe drei Akteure der Branche befragt.
Die Spurensuche beginnt in Berlin bei Danielle De Bie. Sie ist Kommunikationschefin der internationalen Modemesse Bread & Butter. „Berlin hat sich längst in der Modewelt etabliert, und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit“, sagt sie. Mit der ersten Bread & Butter in Berlin, im Januar 2003, habe alles angefangen. Es sei das erste erfolgreiche Fashion-Statement seit langer Zeit in der Hauptstadt gewesen. Zwei Jahre nach ihrem Debüt in Köln wagte die Messe für Street- & Urbanwear den Sprung nach Berlin. Eine Idee, für die B&B anfangs belächelt wurde.
„Wir haben seinerzeit ein Zeichen gesetzt, und andere sind gefolgt“, resümiert De Bie. Seit 2009 laufen die Models in Denim & Co in den Hangars des stillgelegten Flughafens Tempelhof. Die Tradeshow for selected brands sei heute erfolgreicher denn je, sagt die Kommunikationschefin, und mit Glamourveranstaltungen wie der Premium und der Mercedes Benz Fashion Week zu vergleichen. 2013 soll mit dem Debüt von der Modemesse Panorama eine neue Plattform für marktrelevante, umsatzstarke Marken entstehen; das Ziel ist, die Lücke zwischen Designerlabels, junger Avantgarde und Sports- und Streetwear-Marken zu schließen.
Berlin gelte als „Kick off der Saison – der früheste Termin für die Designer und Marken, um sich zu zeigen“, sagt die Kommunikationschefin. Seit mehr als 20 Jahren im ständigen Wandel erfindet sich die Stadt immer wieder neu. Derzeitiges Lieblingskind der Kreativen: Ku´damm, City-West. Während Berlin in den Zeiten der Teilung vor allem politisch wahrgenommen wurde, beginnt seit dem Mauerfall auch die modische Wiedergeburt der Hauptstadt.
Den Titel als Modehauptstadt habe Berlin in der Nachkriegszeit an Düsseldorf abgeben müssen, erklärt Hans-J. Wiethoff, Geschäftsführer der Fashion Square GmbH in Düsseldorf. „Im zerstörten Deutschland, ohne den Osten, war Düsseldorf die Metropole im bevölkerungsreichsten Land Nordrhein-Westfalen“, so Wiethoff.
Der Aufstieg der Rheinmetropole begann einst mit der Interessengemeinschaft Damen-Oberbekleidung (Igedo) im Jahr 1948. Lokale Textilfabrikanten schlossen sich zusammen, um ihrer Ware mehr Aufmerksamkeit zu bescheren.
„Bei internationalen Namen wird die Luft dünn“
Mit Erfolg: Bis Ende der 70er Jahre wurde in Deutschland vor allem Kleidung aus Deutschland verkauft. Und die Igedo war ein Synonym für Damenmode und Düsseldorf. Weil die Herrenmode ihre Heimat in Köln gefunden hatte, bildete das Rheinland den Kern der deutschen Modeszene. Zu den besten Zeiten zog die Igedo-Veranstaltung „Collection Premiére Düsseldorf“ 2.500 Aussteller und 40.000 Besucher auf das rund 200.000 Quadratmeter große Düsseldorfer Messegelände und lockte mit dem gesamten Spektrum der heimischen Mode – von preiswert bis hochwertig.
Hier wird gehandelt: Das Konzept „The Gallery“ soll die Geschäfte in Berlin und Düsseldorf voranbringen (Copyright: Igedo)
Mit dem Einfluss der italienischen Designer Ende der 1970er-Jahre verwandelte sich auch die Szene. „Italiener wollten nicht auf eine Messe, sondern ihre Kollektionen – wie in Italien – in besonderem Umfeld präsentieren“, erinnert sich Wiethoff. Ab 1983 entwickelt er darum spezielle Showrooms. Zwischen Kaiserswerther Straße/Cecilienallee und zwischen Theodor-Heuss-Brücke und Homberger Straße bekamen die Firmen die Chance, ihre Kollektionen das ganze Jahr hindurch zu zeigen. Fashion Square taufte Wiethoff sein Konzept. „Heute sind etwa 400 Showrooms mit 1.000 Designern und Herstellern dort angesiedelt, und es werden rund 3.000 Kollektionen gezeigt“.
Als immer mehr Einkäufer und Aussteller der Collection-Premiére-Düsseldorf-Messe fernblieben, dachte auch die Landeshauptstadt um. 2010 bekam Düsseldorf eine eigene Fashion Week. Die Premium aus Berlin und die Supreme aus München sind mittlerweile auch am Rhein präsent auf einer Fläche von bis zu 5.000 Quadratmetern. Diese Konstellation an Mode sei einmalig in Europa, sagt Wiethoff. Daher bleibe Düsseldorf auch weiterhin Deutschlands Capital of fashion.
Wie hat es Berlin dann geschafft, Düsseldorf den Titel streitig zu machen? Laut Wiethoff mit viel Geld: „Zunächst hat der Senat mit gewaltigem finanziellen Aufwand eingegriffen und Berlin angeschoben“. Mit dem Management der IMG und mit dem Geld von Mercedes Benz sei die Fashion Week Berlin aus der Taufe gehoben worden. Doch sie verfüge weder über die Breite noch über die Internationalität des Angebots von Düsseldorf – und auch nicht über die finanzstarken Einkäufer der Händler. „Berlin macht Party und lockt die Medien, aber schaut man auf die internationalen Namen der Mode, wird die Luft dünn“. In Düsseldorf gebe es zwar auch Partys, aber für Insider in den Showrooms – ohne Medien und B-Promis.
Aufwendige Messeauftritte sind out
Phillip Kronen, Geschäftsführer der Igedo, ist diplomatischer: „Beide Standorte sind für die Modebranche unverzichtbar, sie sind ganz verschieden positioniert“. Die Städte seien keine Konkurrenten, sondern würden sich eher innerhalb der Modelandschaft ergänzen: „Berlin als Treffpunkt der Branche zum Saisonbeginn mit medialem Hype und vielen Events, Düsseldorf unbestritten als Ort, an dem die großen Geschäfte abgeschlossen werden“. Beide Städte würden diese Positionen weiter ausbilden, so Kronen.Die Igedo baut heute eher auf Kooperation als auf Konfrontation. Unter dem Titel The Gallery organsiert die Interessengemeinschaft zweimal im Jahr einen kommunikativen Treffpunkt – und ist damit sowohl in Berlin als auch in Düsseldorf präsent. Den Wandel in der Modebranche erklärt der Geschäftsführer folgendermaßen: „Viele Firmen investieren ihr Budget in Marketingmaßnahmen statt in aufwendige Messeauftritte, vorzugsweise in das eigene Geschäft oder Endverbraucherwerbung“.
Darum würden Showrooms immer wichtiger: „In den letzten Saisonen haben sich in Düsseldorf weitere Unternehmen angesiedelt, und neue Showroom-Zentren sind entstanden. Letztendlich laufen weiterhin alle Fäden in Düsseldorf zusammen.“ Obwohl ab Februar 2012 keine Collection-Premiére-Düsseldorf-Messen mehr auf dem Düsseldorfer Messegelände stattfinden, und Igedo den Namen aufgab, hält die Branche die Dachmarke im Leben: der Begriff Collection Premiére Düsseldorf steht derzeit für die sogenannten Düsseldorfer Ordertage, an denen Händler und Designer sich treffen, um Geschäfte abzuwickeln.
Dabei profitiert die Landeshauptstadt von einem großen, umsatzstarken Einzugsgebiet und ist auch für Osteuropa ein attraktiver Standort. Düsseldorf gehört zu den Städten mit den zahlungskräftigsten Einwohnern. Die Königsallee zählt zur Liga der exklusivsten Boulevards in Europa und zieht eine anspruchsvolle Käuferschaft aus der ganzen Welt an. Insgesamt ist der Großraum Düsseldorf mit 11,5 Millionen Menschen ein riesiger Absatzmarkt – die besten Grundvoraussetzungen für einen unverzichtbaren Standort.
An die Coolness von Berlin kommt Düsseldorf allerdings nicht ran – die Hauptstadt lebt von der Inszenierung. Zur Fashion Week bricht in Berlin regelmäßig das Fashion-Fieber aus und verwandelt die Stadt in eine große Modeparty. Das dynamische Berlin ist gerade wieder einmal im Umbruch: Messen verkleinern sich, positionieren sich neu und optimieren ihre Konzepte. Einer Studie zufolge wird die Informationsfunktion der Messen weiter abnehmen, und der Eventcharakter weiter zunehmen. Ausstellen war also gestern – Aufregung und Attraktivität ist heute angesagt. Berlin hat damit die Nase vorn, steht aber immer vor neuen Herausforderungen. „Die Stadt wird sich wie gewohnt immer wieder neu erfinden. Düsseldorf ist da als Businessstandort etwas bodenständiger“, so Kronen.
Von Andrea Lukács
Veröffentlicht am 30. November 2012 bei „Handelsblatt Online“
Veröffentlicht am 30. November 2012 bei „Handelsblatt Online“