Budapest, 22.1.2013: Baden wie Herr Kaiser
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Das innere Schwimmbecken im Gellert-Heilbad in Budapest (Foto: Lukas Bay)
Die Gellért-Therme in Budapest gilt vielen als verruchter Ort, seit Vertreter der Versicherungsgruppe Ergo dort eine Sex-Party abhielten. Wie passt dieses Bild mit der Realität zusammen? Lukas Bay hat sich in Budapest auf die Spur der Lustreisenden begeben.
Mein Kollege grinst, als ich ihm von meiner Reise nach Budapest erzähle. „Budapest? Gehst du auch in die Gellért-Therme?“ Die Gellért-Therme hat in Deutschland unfreiwillige Berühmtheit erlangt, weil eine große deutsche Versicherung das Badehaus vor fünf Jahren für eine Lustreise angemietet hatte. Die besten Vertreter durften in den altehrwürdigen Hallen die kostenlosen Liebesdienste käuflicher Damen in Anspruch nehmen. Die Lustreise, die vor einem Jahr durch das Handelsblatt aufgedeckt wurde, schlug hohe Wellen – und sorgte dafür, dass Reisen nach Budapest bis heute etwas Verruchtes anhaftet.
Ich tue meinem Kollegen den Gefallen: An meinem ersten Feierabend in Budapest besuche ich tatsächlich das altehrwürdige Bad am westlichen Donau-Ufer. Das Gellért-Hotel mit angeschlossener Therme besteht bereits seit 1918, wurde aber in der bewegten Geschichte Budapests schon mehrfach zerstört und wieder aufgebaut. Die Quellen, aus denen die warmen Becken befüllt werden, sollen bereits im 13. Jahrhundert entdeckt worden sein. Renoviert wurde das Bad zuletzt im Jahr 2008.
Die Wirkungen, die man dem mineralreichen Wasser zuschreibt, sind geradezu magisch. Angeblich hilft ein Bad gegen Gelenkerkrankungen, Probleme mit der Wirbelsäule, Bandscheibenprobleme, Durchblutungsstörungen, sowie gegen Asthma und chronische Bronchitis. Da ich keines der Leiden vorzuweisen habe, kann ich leider nicht prüfen, ob das stimmt.
Mit Thermen wie ich sie aus Deutschland kenne, hat schon der Eingangsbereich wenig zu tun. Verzierte Bögen und ein Art-Nouveau-Glasdach erinnern eher an ein Schloss als an ein Bad. In einer holzverkleideten Kabine werden die Eintrittskarten für 4100 bis 4600 Forint (umgerechnet 14 bis 15,60 Euro) verkauft. Nachdem ich bezahlt habe, bekomme ich ein blaues Bändchen.
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Deckenverzierung in der Gellért-Therme (Foto: Lukas Bay)
Auf dem Weg zu den Umkleidekabinen erlebe ich die erste kleine Enttäuschung: Mit dem pompösen Glanz des Eingangsbereichs haben die Umkleideräume wenig gemein. Chaotischer Hallenbadcharme bestimmt die Szenerie, Einweiserinnen verteilen die etwas konfusen Besucher auf die durchnummerierten Privatkabinen. Ich möchte einen Bademantel leihen, verzichte aber darauf, nachdem eine wenig freundliche Dame am Verleih dafür 11.000 Forint (rund 37,5 Euro) verlangt.
Heiße Thermalbecken
Ich brauche ein wenig Zeit, bis ich mich in dem riesigen Gebäude zurechtfinde und starte mit dem Poolbereich, wo einst Herr Kaisers lüsterne Kollegen lümmelten. Das große Becken ist gesäumt mit weißen Säulen und macht einen geradezu majestätischen Eindruck. Fast zu schade, dort nur zu schwimmen.Die Nackten bleiben im Eingangsbereich. Durch eine Tür gelange ich in einen Raum mit mehreren Holz-Separees und denke zuerst, dass ich mich schon wieder verlaufen habe. Ein Schild leitet mich schließlich durch das Labyrinth zu den Thermalbecken. Ich öffne eine weitere Milchglastür, der Geruch von Schwefel strömt mir entgegen. In zwei Becken hocken Menschen, die bei düsterem Licht bis zum Hals in wahlweise 36 oder 38 Grad warmem Wasser aus den Mineralquellen baden. Ein wenig erinnert das Bild an die Badehäuser im alten Rom. An Wochentagen wird auch im Gellért nach Geschlechtern getrennt gebadet. Die Versicherungsvertreter müssen am Wochenende gekommen sein.
Nach einem kleinen Bad suche ich eine Sauna, und werde hinter der nächsten Milchglastür fündig. Allerdings hat der Sauna-Bereich im Gellért das Flair eines Schlachthauses: Farblose Fliesen, lieblose Duschen und Rost an den Türen. Der Boden der 70-Grad-Sauna ist so heiß, dass ich mich nur mit einem beherzten Sprung auf die Holzbank retten kann. Aufgüsse wie ich sie von deutschen Saunen kenne, gibt es nicht.
Ich hoffe, dass die Sauna im Außenbereich mehr zu bieten hat. Doch die ist wegen des eisigen Wetters gesperrt, genauso wie der Wellenpool. Nach zwei weiteren Runden im Thermalbad habe ich genug und begebe mich Richtung Ausgang. Die weißen Marmorstatuen im Eingangsbereich sind übrigens das einzige Nackte, das ich heute zu sehen bekommen habe. Im Gellért besteht strikte Bekleidungspflicht.
Von Lukas Bay
Veröffentlicht am 30. Januar 2013 bei „Handelsblatt Online“
Veröffentlicht am 30. Januar 2013 bei „Handelsblatt Online“