Berlin, 13.1.2013: Ein Zwischen-Resümee
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Kulturjournalistin Undīne Adamaite aus Riga (Foto: Privat)
Es ist Sonntag, die Kirchenglocken läuten wieder. Meine ersten beiden Wochen in Berlin sind vorbei. Heute schreibe ich Artikel. Eine Zusammenfassung meiner Erfahrungen.
Ich stecke die Ausrichtung meiner Tätigkeit für die nächste Woche ab. Vorurteile und Klischees habe ich genug reproduziert. Durch meine Strategie der letzten Woche, den Dingen so nah wie möglich zu kommen, mich auf den Straßen und in der Metro zu verlieren, sind sie nur mehr geworden.
Ich muss mehr mit den Menschen sprechen, die hier leben. Ich habe das Büchlein Wer sind die Deutschen / Kas ir vācieši der deutschen Autoren Stefan Zeidenitz und Ben Barkow mitgenommen. Selbstironisch und karikierend zeichen sie darin das Porträt des „Durchschnittsdeutschen” als „Wurstessergestalt”. Ein Beispiel: „Denjenigen, die denken, die Deutschen seien ein Volk von Robotern mit rechteckigem Kinn, deren Sprache sich wie ein entsetzliches Gurgeln im Abwasserrohr anhört, eine Nation, deren Autos anderen Herstellern überlegen sind und deren Fußballnationalmannschaft fast nie verliert, scheint, man sollte sich vor den Deutschen besser in Acht nehmen. Doch unter dieser Oberfläche verbirgt sich ein Volk, das unverkennbar Zweifel hat, wo es wirklich steht, wohin es in der Zukunft geht und sogar wie es dorthin gekommen ist, wo es jetzt ist”.
Die lettische Ausgabe erschien 1999. Seit damals ist viel Zeit vergangen. Ich werde neue Wahrheiten über die Deutschen suchen. Wer sind die Deutschen? Im Jahr 2013? Wie definiert sich die Berliner Identität? Das Bekenntnis „Berlin ist mehr als Currywurst”, das ich in der U-Bahn gesehen habe, werde ich im echten Leben überprüfen.
Mein erstes Interview habe ich schon vereinbart. Zufällig habe ich im Theater eine deutsche Psychologin kennengelernt. Nach ein paar formellen Floskeln begann sie, von sich aus über das Nachkriegstrauma ihrer Generation zu sprechen, das sich in den Familien immer noch auswirke. Ich sprach sie auf ein Interview an; sie hat zugestimmt. Wir gehen in den Zuschauersaal, und es stellt sich heraus, dass wir in der dritten Reihe auf den Plätzen fünf und sechs sitzen. Na, das ist ja eine tolle Metropole!
Von Undīne Adamaite
Übersetzt aus dem Lettischen von Felix Lintner
Veröffentlicht am 23. Januar 2013 im Berliner „Tagesspiegel“ und den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“
Übersetzt aus dem Lettischen von Felix Lintner
Veröffentlicht am 23. Januar 2013 im Berliner „Tagesspiegel“ und den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“
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